Bewertung „Mengenausgleichsregelung von Fairtrade/TransFair“ – dwp

dwp eG – Ravensburg 19.11.2013

Liebe Kundinnen und Kunden, liebe Engagierte im Fairen Handel,

diesem Brief liegt unser Lebensmittelneuheitenblatt November 2013 mit dem neuesten Produkt „Schokolierte Grüne Mangos“ aus der Kooperation Preda und dwp bei. Vielleicht wundern Sie sich, warum wir bei dieser leckeren Neuheit die Bestandteile Kakao und Rohrzucker in der Schokolade nicht als Fairhandelszutat ausgelobt haben. Nein, uns ist kein Deklarationsfehler unterlaufen. Auch haben wir die Garantie, dass faire Preise an die Kakao- und Rohrzuckerproduzenten im Ursprungsland bezahlt wurden.

Warum haben wir auf die Auslobung dieser, mit 35 % am Gesamtanteil, nicht unwesentlichen Zutaten, mit dem Prädikat „fair“,  auf dem Produkt bewusst verzichtet?
Wir möchten damit beispielhaft die immer drastischeren Entwicklungen im zertifizierten Fairen Handel verdeutlichen. Eine davon, der so genannte Mengenausgleich, wurde bereits vor knapp 3 Jahren im Rahmen der Standarderweiterungen von Fairtrade International für die Produkte Zucker, Kakao, Tee und Fruchtsäfte eingeführt – ursprünglich nur für wenige Jahre als Übergangslösung angedacht, wurde die Regelung inzwischen schon bis zum Jahr 2017 verlängert.
Kurz zusammengefasst bedeutet Mengenausgleich, dass ein verarbeiteter Rohstoff zwar als fair deklariert wird, dieser möglicherweise aber physisch nicht aus Fairem Handel stammt.

Fairtrade will damit das Problem lösen, dass z.B. größere Zuckerproduzenten des Fairen Handels aufgrund ihrer Struktur und Technik nicht in der Lage sind, fair gehandeltes Zuckerrohr in der Verarbeitung von „unfairem“ Zuckerrohr zu trennen. Eine physische Rückverfolgbarkeit des Zuckers kann nicht gewährleistet werden, da nur ein kleinerer Teil des verarbeiteten Zuckers von fair bezahlten Produzenten stammt.

Der Mengenausgleich soll u.a. dazu dienen, dass trotz dieser Nichtseparierung der unterschiedlichen Zuckerqualitäten von großen Übersee-Zuckermühlen im Fairtrade-System eingekauft werden kann. Durch die damit erreichte Vereinfachung des Systems, soll die Voraussetzungen für eine größeres Angebot von Zucker von Fairtrade zertifizierten Fairhandelsproduzenten geschaffen werden.
Dass die Produzenten über diesen Weg möglicherweise größere Mengen zu Fairhandelspreisen verkaufen können, entspricht der Zielsetzung aller Fairhandelsakteure. Kritisch sehen wir aber die Entwicklungen, die mit dem Thema Mengenausgleich in Deutschland einhergehen:

Fairtrade/TransFair möchte Produkte aus dem Fairen Handel billiger machen, so dass sich „alle“ diese Produkte leisten können und mehr große Lebensmittelverarbeiter für den Fairen Handel gewonnen werden.
Das wird laut TransFair/Fairtrade dadurch möglich, dass große deutsche Lebensmittelverarbeiter den so genannten Einzel­ Mengenausgleich bei uns anwenden können und nicht eine physische Rückverfolgbarkeit der eingekauften Fairhandelszutaten gewährleisten müssen. Somit müssen die Verarbeiter nicht kostenintensiv ihre Maschinen wegen kleinen Produktionsmengen mit reinen Fairtrade-Zutaten umstellen. Stattdessen laufen die Maschinen kostengünstig ohne Unterbrechung. Die zu Fairtrade-Bedingungen bei den Produzenten gekaufte Zuckermenge kann dann irgendwann ohne Kennzeichnung bei anderen Produktionsabläufen untergemischt werden.

Damit ist es möglich, dass in einem Fairtrade gesiegelten Produkt wie Schokolade kein Gramm tatsächlichen Rohrzuckers oder Kakao von Fairhandelsproduzenten enthalten ist. Der Schokoladenverarbeiter muss lediglich gewährleisteri. dass er nur solche Mengen mit dem Fairtrade-Siegel auslobt, wie er insgesamt zu Fairtrade-Konditionen eingekauft hat Eine für den Verarbeiter einfache und günstige Möglichkeit, Fairen Handel zu betreiben und davon zu profitieren.
Eine erweiterte Form bildet der so genannte Gruppen-Mengenausgleich. Hier können multinationale Konzerne, die weltweit Produktionsstätten besitzen, z.B. Zucker direkt von den Fairhandelsproduzenten in ein nahe gelegenes Land, zu geringen Transportkosten und möglicherweise zollfrei liefern lassen und kostengünstig verarbeiten. Gleichzeitig darf der Konzern in Höhe der eingekauften Fairtrade-Zuckermenge in Deutschland Schokolade mit dem Fairtrade-Siegel ausloben. In solch einem Fall wird der Fairtrade-Zucker nie nach Deutschland verschifft, sondern auf einem anderen Kontinent verarbeitet. Der Gruppen­ Mengenausgleich bietet auch die Möglichkeit, nationale Zucker-Zölle wie sie z.B. in Europa vorherrschen, zu umgehen. Dadurch kann sehr kostengünstig „Falrtrade“-Schokolade hergestellt werden.

So produzierte Fairtrade-Schokolade und andere -Produkte (z.B. Fruchtgummis, Tees, Säfte, …) können den Verbrauchern heute zu deutlich „billigeren Preisen“ angeboten werden. Damit entstand auch eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber Importeuren wie dwp, die Fairhandelszutaten tatsächlich immer verwenden und denen eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Zutaten wichtig ist. Der Bio-Handel schafft eine eindeutige Rückverfolgbarkeit übrigens seit Jahrzehnten!

Für uns ist es ein wesentlicher Bestandteil des Fairen Handels, dass wir in der Lage sind, unseren Produkten „ein Gesicht zu geben“ und die Kunden über die Kleinbauernfamilien, die hinter den Produkten und Zutaten stehen, zu informieren. Wer dies aufgibt macht aus den Produzenten austauschbare, beliebige Lieferanten.

Kleinproduzenten werden immer stärker in einen ungleichen Wettbewerb zu Großproduzenten im Fairtrade-System gesetzt. Diejenigen, die wie dwp die Rückverfolgbarkeit aufwändig gewährleisten, haben inzwischen dadurch keinen Vorteil mehr für sich, sondern nur zusätzlichen Kosten. Wer schneller, größer und billiger im Ursprungsland produziert, hat eindeutig Vorteile im Fairtrade-System.

Mit den Regelungen zum Mengenausgleich wird der Anreiz genommen, Kleinproduzentengruppen dahingehend zu fördern, dass sie ihre Struktur verbessern können und sie möglicherweise in die Lage einer Rückverfolgbarkeitskette zu bringen.

Wir meinen, dass die Mengenausgleichsregelung den Kunden definitiv nicht ausreichend erklärt wird. Wir fragen uns, wer überhaupt den Hinweis auf Mengenausgleich – klein angemerkt neben den Zutaten – wahr nimmt und sich dann weiter damit befasst. Fairtrade muss unseres Erachtens offensiv über die angenommenen Vorteile des Mengenausgleichs informieren, so dass die Kunden eine faire Entscheidungsgrundlage haben.

In Verbindung mit der Regelung, dass aus mehreren Zutaten bestehende Fairtrade gesiegelte Produkte nur noch 20 % an Fairhandelszutaten enthalten müssen sehen wir die bewusste Aufspaltung der Fairhandelsbewegung gegeben. So entstehen immer mehr Produkte wie z.B. Fruchtgumm is, die 27 % Fairtrade-Anteil aufweisen, in denen durch die Anwendung des Mengenausgleichs aber möglicherweise kein Gramm realer Fairtrade-Zutat steckt.

Wir finden es ist höchste Zeit, dass TransFair eine transparente Kennzeichnung vorantreibt, die z.B. auf der Produktvorderseite direkt im Fairtrade-Siegel den Prozentsatz der eingesetzten Fairtrade-Zutaten ausweist.

Wir hoffen mit dieser Bewertung die – unseres Erachtens wichtige – Diskussion über die Entwicklungen und Unterschiede im fairen Handel neu anzustoßen. Wir möchten dem Fairen Handel auf keinen Fall schaden, aber dazu beitragen, dass es Ihnen auch zukünftig leicht fällt, die Vielfalt des Fairen Handels Ihren fragenden Kunden näher zu bringen. Nur mit größtmöglicher Transparenz können sich Kunden auch in Zukunft bewusst für das eine oder andere Produkt entscheiden. Da Transparenz ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit ist, werden wir die Möglichkeit des Men9enausgleichs bei unseren Produkten, wie bisher, vermeiden.
Was die „Schokolierten Grünen Mangos“ angeht:
Hier lassen wir 65 % Mangos von Preda verarbeiten und unterstützen durch die Verkäufe auch weiterhin unseren wichtigen Partner. Leider ist es uns trotz intensiver Recherchen bislang nicht gelungen, einen Verarbeiter zu finden, der die Verarbeitung der Grünen Mangos und die Schokolierung derselben mit von uns beigestelltem Rohrzucker und Kakao realisieren kann. Die beiden anderen schokolierten Produkte werden von einem anderen Verarbeiter für uns hergestellt, der dafür unserem Wunsch entsprechend Naturland Fair zertifizierte Schokolade verwendet hat. Hinsichtlich der Schokolierten Grünen Mangos sind wir natürlich weiterhin auf der Suche nach einem anderen Verarbeiter.

Herzlichen Dank für Ihr Interesse und Ihr Engagement für einen transparenten Fairen Handel.

Mit besten Grüßen aus Ravensburg

Thomas Hoyer, für das Team der dwp eG Fairhandelsgenossenschaft